Review – Marketing jenseits vom Mittelmaß

Marketing j v MWie geht man es am besten an, in einen neuen Themenbereich einzutauchen? Als erstes sollte man Anlauf nehmen, Luft holen und in das Becken springen. Denn die Praxis lehrt einen eine Vielzahl wertvoller Lektionen. Trotzdem ist niedergeschriebenes Wissen nicht zu verachten. Unzählige Leute schwimmen schließlich  schon lange in besagtem Becken und haben unzählige Erfahrungen gemacht. Dass man aus diesen Erlebnissen nur die wasserfesten wählt, versteht sich von selbst. Diesen Überlegungen folgend stieß ich auf Marketing jenseits vom Mittelmaß (Gabal Verlag, 2015) und berichte Euch hier, was ich daraus Wertvolles abschöpfen konnte.

Was als Erstes an dem Buch auffällt ist seine Größe, dicht gefolgt von seinem Gewicht. Mit 25,3 x 3,2 x 33,3cm und über zwei Kilogramm Eigengewicht hebt sich Marketing jenseits vom Mittelmaß, getreu seinem Titel, deutlich vom Rest meines Regalinhaltes ab. Abheben kann sich das Buch aber auch beim Preis. Mit 49€ für die gebundene Version (34,99€ Kindle)(Preise von Amazon.de) schlägt es durchaus hart in die Haushaltkasse ein. Das stört mich aber nicht groß – und die Amazon-Käufer, die dem Spiegelbestseller 4,8 von 5 Sternen gaben, wohl auch nicht – denn das Buch hält, was es verspricht.

In Prolog, Vorwort und Einleitung motivieren die beiden Autoren den Leser dazu, sich mehr zu trauen, kreativ zu werden und sich von der Masse (a.k.a. Mittelmaß) abzuheben – besonders beim Marketing. Dabei betonen Jeannine Halene und Hermann Scherer klar, dass man nicht stupide von den Großen und Erfolgreichen kopieren soll, da zum einen eine Kopie nie so gut ist wie das Original und zum anderen nicht mehr auffällt. Vielmehr soll man sich von den vielen kreativen, und teils auch sehr gewagten, Aktionen inspirieren lassen, um dann etwas Eigenes und Neues zu erschaffen.

Foto 3Im Anschluss an dieses Plädoyer für das Neue zeigt Marketing jenseits vom Mittelmaß in 100 vielfarbig gedruckten Fallbeispielen, wie erfolgreiches Marketing in den letzten 10 Jahren aussah. Dabei sind die Ideen und Kampagnen in sieben Kategorien aufgeteilt – Brands, Out of Home, TV & Virals, Social Media, Kampagnen, Plakate & Print sowie Apps & Web. Die Auswahl der Practices ist ebenso bunt wie das Buch. Vom schmelzenden Brettspiel über ein essbares Kochbuch bis hin zu Golfbällen in der Windschutzscheibe und einem hausgroßen pinkfarbenen Neonstripper ist alles dabei.

Dass ich einen guten Teil der Fallbeispiele schon kannte ist zwar etwas betrüblich, liegt aber wohl eher daran, dass man als Teil der Generation Internet im Falle von Langeweile im Netz schnell Ablenkung findet. Dabei stößt man auch häufig auf originelle Werbung. Das würde ich aber weniger als Manko des Buches werten, sondern vielmehr als gutes Zeichen, dass Marketing jenseits vom Mittelmaß einen guten Riecher für ansprechende Ideen und Kampagnen hat. Zumindest was meinen Geschmack angeht.

Da überrascht es auch nicht, wenn mich der Großteil der weiteren Beispiele ebenso begeistert. Mein persönlicher Favorit ist dabei die Idee von Old Spice, den ehemaligen Football-Profi Isaiah Mustafa in mehreren TV-Spots eine Menge Unsinn reden zu lassen. Während dieser zu Anfang des ersten Spots noch in einem Badezimmer steht, geht er im nächsten Moment über eine Jacht, um dann plötzlich auf einem Pferd zu sitzen. Während dieser komplett an einem Stück gedrehten Clips versichert er dem (weiblichen) Publikum stets, dass Dank Old Spice auch ihr Mann so riechen könnte wie Isaiah. Muss man gesehen haben:

Auf bis zu zwei Seiten werden mit großformatigen Bildern und ein wenig Text die Fallbeispiele wiedergegeben, die Idee beschrieben, dann das Besondere hervorgehoben und letztendlich das Ergebnis der Aktion akzentuiert. Die Eckdaten werden dann nochmal in einem schwarzen Seitenbalken mit vier W-Fragen (Was? Wer? Wo? Wann?) gezeigt. Bei verfügbaren YouTube-Spots bietet Marketing jenseits vom Mittelmaß auch noch einen QR-Code für den Leser, damit dieser nicht lange nach dem gewünschten Video suchen muss.

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Foto1Unterbrochen werden die Best-Practice-Beispiele gelegentlich von einer Schwarz-Weiß-Doppelseite samt (meist) passendem Zitat. Hier ein paar Beispiele:

„Erlaubt ist, was gelingt.“ – Max Frisch

„Wer die Form beherrscht, darf in die Suppe spucken.“ – Hans Peter Willberg

Mein persönlicher Favorit:

„Gehen Sie raus und zünden Sie die Welt an.“ – Hermann Scherer

Zum Ausklang will ich aber noch zwei weitere meiner Favoriten mit Euch teilen. Denn die sollte man meiner Meinung nach einfach kennen. Egal, ob man sich das Buch kauft oder nicht:

Auf Platz 2 liegt  die Kampagne „Dumb Ways to Die“. Hiermit bewies Metro Trains Melbourne, dass Sicherheitshinweise keineswegs langweilig sein müssen. Besondere Aufmerksamkeit erhielt dabei das gleichnamige Musikvideo, in dem mehrere animierte Charaktere Darwin-Award-verdächtige Tode sterben. Das Video hat inzwischen über 130 Millionen Aufrufe. Aber hatte es auch  Erfolg? Die Unfälle an Metrostationen gingen um 21% zurück. Das Ergebnis spricht also für sich. Ansehen:

Inzwischen etwas angestaubt aber immer noch einer meiner Favoriten ist ein Werbespot von Berlitz. Gerade als Deutscher mit einem Faible für Fremdsprachen finde ich German Coastguard zum Schießen. Da Spoilern inzwischen als 8. Todsünde angesehen wird, will ich nichts weiter verraten – schaut es Euch selber an.

Fazit:

Als Erstes ist „Marketing jenseits von Mittelmaß“ eine umfassende Sammlung hervorragender Marketing-Ideen. Doch das Buch will mehr: Inspirieren. Bei mir ist das den Autoren gelungen und ich konnte diese Inspiration bereits in einige Projekte einfließen lassen. Zudem hat es mir etwas mehr Selbstvertrauen gegeben, gerade ungewöhnliche Vorschläge zu bringen. Bei wem der Funkenschlag nicht vonstattengeht oder wer das Buch aus anderen Gründen nicht mag, kann es zumindest als Waffe gegen eventuelle Einbrecher nutzen. Da ist es sicherlich überzeugend. So oder so: Two thumbs up.