Google und das Recht, vergessen zu werden

Datenlöschung anno 200.

Datenlöschung anno 200.

Ob die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dass Internet-Suchmaschinen wie Google bei einer Suche nach einem Namen in bestimmten Fällen nicht alle Treffer anzeigen dürfen, das Publikationsverhalten der User im Netz verändern wird, ist fraglich. In jedem Fall bedeutet das Urteil jede Menge Arbeit für Juristen, Google und Co. – und zeigt, wie sehr sich die Zeiten seit der Antike doch geändert haben.

In der Antike war es üblich, die Namen besonders verachteter und verhasster Personen aus sämtlichen Annalen zu tilgen, sämtliche erreichbaren Bildnisse und Inschriften zu zerstörrn, und in der Zukunft es tunlichst zu vermieden, den Verurteilten öffentlich zu erwähnen. Die Damnatio memoriae – eine der Höchststrafen dieser Zeit – bedeutete nichts Geringeres als die Verfluchung und demonstrative Tilgung des Andenkens an eine Person durch die Nachwelt.

Dass sich zwischen der Antike und 2014 einiges getan hat, zeigt, dass künftig im World Wide Web das Recht auf Vergessen gilt. Im Klartext heißt dies: Wenn der eigene Name online in unerwünschten Zusammenhängen erscheint, kann die betreffende Person die Lösung des entsprechenden Links beim Suchmaschinenbetreiber beantragen. Oder wie es der EuGH ausdrückt: „Eine Person kann sich daher, wenn bei einer anhand ihres Namens durchgeführten Suche in der Ergebnisliste ein Link zu einer Internetseite mit Informationen über sie angezeigt wird, unmittelbar an den Suchmaschinenbetreiber wenden, um unter bestimmten Voraussetzungen die Entfernung des Links aus der Ergebnisliste zu erwirken, oder, wenn dieser ihrem Antrag nicht entspricht, an die zuständigen Stellen.“

Die Luxemburger Juristen stützen sich dabei auf eine EU-Richtlinie, wonach die Grundrechte und Grundfreiheiten von Personen, insbesondere deren Recht auf Privatsphäre, bei der Verarbeitung personenbezogener Daten besonders geschützt sind. David Hasselhoff, der weltweit wahrscheinlich virtuoseste Verzehrer von Burgern, dürfte nun frohlocken.

Aber auch die Wirtschaft beginnt aufzuhorchen: Nike beispielsweise wittert die Chance, sich dadurch unliebsamer Nachrichten aus der Vergangenheit zu entledigen, wie die Financial Times berichtet. Der Sportartikel-Hersteller war wegen umstrittener Geschäftspraktiken massiv unter Druck geraten. Die Ausbeutung von Arbeitskräften in Entwicklungsländern war in diesem Zusammenhang das zentrale Thema.

Der EuGH setzt aber der Löschung von Links in Ergebnislisten von Suchmaschinen sehr enge Grenzen. Ein Recht auf Vergessen besteht nur dann, wenn die in der Ergebnisliste enthaltenen Informationen und Links den in der EU-Richtlinie definierten Grundfreiheiten widersprechen. Hierzu können auch Daten zählen, die ursprünglich einmal sachlich richtig und einst von der Richtlinie geschützt waren, mittlerweile aber nicht mehr den Bestimmungen konform geht, weil sie beispielsweise aufgrund der verstrichenen Zeit, den Zwecken, für die sie einst verarbeitet worden sind, nicht mehr entsprechen oder dafür nicht mehr erheblich sind.

Welche Auswirkungen das EuGH-Urteil zum webbasierten Recht auf Vergessen bleibt abzuwarten. Das von Google veröffentlichte Antragsformular lässt jedenfalls hinsichtlich Aufwand und Bearbeitungsgeschwindigkeit durch den Suchmaschinenbetreiber Schlimmstes erahnen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass dieses Thema reichlich Stoff für juristische Auseinandersetzungen bieten wird, denn was im Laufe der Zeit noch als „erheblich“ anzusehen ist und was nicht, ist in den meisten Fällen Auslegungssache und damit strittig.

Abgesehen davon wird sich die Community von dem Urteil wohl kaum einen Maulkorb verpassen lassen und Google wird einer der wichtigsten Meinungsmultiplikatoren im Web bleiben. Darüber hinaus ist es ohnehin fraglich, ob sich durch bloßes Löschen eines Links etwas vergessen lässt. Dies zeigt schon die moderne Forschung zur Damnatio memoriae: Die Maßnahmen sollten demnach keineswegs wirklich zu einem Vergessen des Betroffenen führen, vielmehr wurde die Erinnerung an ihn durch die Verfluchung seines Namens bewusst wachgehalten – nicht zufällig kennt man fast jeden, der in Rom der damnatio verfiel, mit Namen. Im Web ist es da nicht viel anders: Ein Klick genügt, und die gerade erst gelöschten Informationen sind wieder online – und das Spiel beginnt von vorne. Insofern wird wohl auch der Kampf des Herrn Hasselhoff gegen sein Burgermampfvideo Don Quixote-gleich einer gegen Windmühlen bleiben.

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