TV-Hochamt mit Hashtag – Der Tatort und die Sozialen Medien

Twitter_Tatort_a24f2d018dFür viele gehört er zu den fixen Terminen am Wochenende und manche zelebrieren ihn gar als TV-Hochamt am Sonntagabend beim Public Viewing in der Lieblingskneipe – die Rede ist vom Tatort. Der Deutschen liebstes Krimikind. Ein Urgestein des deutschen Fernsehens – seit 1970 auf Sendung. Herrlich altmodisch der Anfang mit den seit über 40 Jahren gleichen Bildern. Unverändert auch die Musik von Klaus Doldinger. Manche Dinge ändern sich eben nie… http://www.youtube.com/watch?v=k0pV2faxne4

Nun, bei genauerer Betrachtung hat sich seit „Taxi nach Leipzig“, der ersten Tatortfolge vom 29.11.1970, schon einiges getan:  Sieht man vom ewig drögen Saarbrücken-Tatort des Saarländischen Rundfunks einmal ab haben die Filme deutlich an Tempo gewonnen. Kommissare kamen und gingen – manche schneller als einem lieb sein konnte (Ermittler-Duo Steier/Mey aus Frankfurt), manche haben es gerade noch geschafft in den Ruhestand zu gehen ehe sie peinlich wurden (Duisburg-Ermittler Schimanski), bei manchen wäre es besser gewesen, sie hätten die Schublade mit den Drehbuchentwürfen nie verlassen (Ermittler-Duo Stellbrink/Marx aus – wie soll es auch anders sein – Saarbrücken).

Wer über den Tatort schreibt, muss zwangsläufig eine Meinung haben: Und wie es mit der Meinung nun mal so ist, man behält sie meist ungern für sich. Und so erwacht mit schöner Regelmäßigkeit Twitter um 20.15 Uhr aus seinem sonntäglichen Dornröschenschlaf wenn Heerscharen von Hobbyfernsehkritikern mit Adlersaugen ihre Lieblingssendung verfolgen.

Schwächen im Skript, mittelmäßige Schauspielerleistungen sowie alles weitere Erwähnens- und Nichterwähnenswerte zum aktuellen Tatort ist binnen kürzester Zeit auf twitter.com/Tatort nachzulesen. Hashtag Tatort dahintergesetzt und sofort weiß es das gesamte Universum, wie viele Currywürste Köln-Ermittler Freddy Schenk nun schon wieder verdrückt hat. Bisweilen verraten die Tweets auch einiges über den Zuschauer selbst, respektive über dessen Sprachkompetenz…

…oder über die Anatomie des Hauptdarstellers…

…(in diesem konkreten Fall gehört der Allerwerteste Till Schweiger)…

 …oder über die Maulfaulheit des aktuellen Hamburger Kommissars Nick Tschiller (gespielt von wem sonst als vom allerurigsten Ur-Hamburger, dem gebürtigen Freiburger Till Schweiger).

Auch auf facebook.com/tatort dauert es allsonntäglich nicht lange ehe die Konversation über den aktuellen Lieblingskrimi zu moussieren beginnt. Es liegt dabei in der Natur des Kommunikationskanals, dass die einschlägigen Einlassungen nicht selten den Hang zum Epischen und (leider auch) Prosaischen haben mit einem Erkenntnisgewinn bisweilen knapp über der Grasnarbe. Von daher ist es nur folgerichtig, dass die Online-Portale von Spiegel und Süddeutscher Zeitung montags nicht das Facebook-, sondern das Twitter-Echo fest im Redaktionsplan stehen haben. Man hat als Qualitätsblatt ja schließlich einen Ruf zu verlieren.

Deutschland einig Kritikerland: Das Smartphone oder Tablet in der Hand, eingeloggt auf Facebook und Twitter entsteht nicht nur beim sonntäglichen Tatort-Hochamt zwischen den Zuschauern etwas, das Medienwissenschaftler vor einiger Zeit Social TV genannt haben – eine große virtuelle Community von Fernsehzuschauern, Public Viewing im auf dem Sofa. App-Entwickler greifen den Trend zum kollektiven Kommentieren via Social Media längst auf. Auf couchfunk.de gibt es eine kostenlose App, die dem User laufende Sendungen vorschlägt, die gerade diskutiert werden – inklusive direktem Link zu Facebook und Twitter samt passenden Hashtags.
Twitter und Co. als Second Screen: Bereits 2012 hat Twitter-Chef Dick Costolo seinen Kurznachrichtendienst als zweiten Bildschirm des Fernsehens bezeichnet. Und in der Tat, über 50% der Internetnutzer besuchen während des Fernsehens soziale Netzwerke. Und die Werbebranche steht schon in den Startlöchern. Mit integrierten, mehrdimensionalen Kampagnen an der Schnittstelle von TV und Social Media sind Online/Offline-Synergieeffekte möglich und damit Reichweiten erzielbar, die weit jenseits dessen liegen, was mit eindimensional aufgesetzten Konzepten erreichbar ist.