Live, liver, am livesten – Meerkat und Periscope erobern die digitale Welt

PeriscopeDiese Formulierung ist grammatikalisch natürlich falsch, denn wie bekannt ist, gibt es von „live“ keine Steigerungsform. Einige neue Trends in den sozialen Netzwerken scheinen diese Grammatik-Weisheit jedoch nicht zu akzeptieren und starten eine neue Ära der Live-Übertragungen.

Apps wie Meerkat oder Periscope haben sich einem eigentlich simplen Thema zugewandt, begeistern die Massen wie kaum ein Zweites. Live-Streaming aus dem privaten Leben, für jedermann zugänglich. Ein Nutzer der App kann alles filmen – egal was, wann und wo. Die Zuschauer können seine Übertragung live verfolgen. Ob die Person an der Kamera allgemeine Fragen beantwortet während sie mit einer abgefahrenen Badekappe in der Badewanne sitzt, eine aufregende Tour durch die Pyramiden Ägyptens macht oder ein Konzert von U2 besucht – Einschränkungen über den Inhalt gibt es bei diesen Apps nicht.

Auf der Startseite beider Apps werden zunächst die Videos der eigenen Kontakte angezeigt, die gerade filmen. Sollte aktuell keiner filmen oder die eigene Kontaktliste eher klein sein, erscheint sofort eine Auswahl an derzeit angesagten Videos, aus denen sich jeder ein für sich passendes Video auswählen kann. Bei Periscope besteht zudem die Möglichkeit, sich über eine Weltkarte zu bewegen und so Live-Übertragungen von gezielten Orten auszuwählen. Gefällt einem das angesehene Video, ist es sehr einfach, dem User zu folgen. Die Videos werden dann direkt auf der Startseite angezeigt.

Zudem haben die Zuschauer bei beiden Apps direkten Einfluss auf den Filmenden. Mithilfe einer Chatfunktion kann jeder der Person an der Kamera Fragen stellen oder Anregungen über mögliche Kameraperspektiven oder Motive geben. Diese erscheinen dann nach und nach im unteren Teil des Bildschirms und sind für jedermann sichtbar. Zusätzliche Resonanz über die Beliebtheit seiner Übertragung erhält der Filmende in Form von ins Bild strömenden Herzen, die seine Zuschauer verteilen können, sollte ihnen das Gezeigte gefallen.

Fluch oder Segen?
Doch welchen Einfluss hat diese neue Form des Live-Streamings auf das Fernsehen und welche Chancen und Risiken bietet es für die Nutzer selbst?
Das wohl größte Aufsehen bisher erreichten die Streaming-Dienste als während des Boxkampfes von Floyd Maywaether und Manny Pacquiao einige User die Auseinandersetzung live über die Apps verbreiteten. Der mit einem Gesamtumsatz von mehr als 400 Millionen Euro versehene Fight sollte ursprünglich nur über Pay-Per-View zu sehen sein. Das war der Plan der Pay-TV Sender. Satte 30 Euro verlangte Sky und für Boxfans war dies die einzige Möglichkeit diesen Kampf zu verfolgen – dachten alle. In der Nacht zum dritten Mai gab es dann plötzlich einen riesigen Ansturm auf die Live-Streaming Apps. Einige Nutzer, die sich den Kampf vorab bestellt hatten, hielten einfach ihre Kamera auf den Fernseher und übertrugen so den Kampf völlig kostenlos für alle anderen Meerkat- und Periscope-User. Hätten sich alle Live-Streaming Zuschauer den Event über Pay-TV angesehen, wären die Einnahmen für die Sender um ein vielfaches höher gewesen. Für sie ein erster Hinweis wie Live-Streaming Apps ihre Arbeit beeinflussen können. Eine ganz andere Frage ist, inwiefern der Live-Stream eines solchen Boxkampfes rechtlich erlaubt ist.

Die Bedeutung des Begriffs „Live-Streamings“ ist nicht nur positiv zu bewerten. Für viele Personen ist es neu, dass ihre Zuschauer live dabei sind. Sie können ihre Videos nicht mehr überarbeiten, bevor sie diese veröffentlichen. Passiert etwas Unvorhergesehenes, haben sie keine Chance mehr, darauf anschließend Einfluss zu nehmen. Das Publikum bekommt jeden Fehler oder Versprecher mit, einfach alles. In dieser Problematik besteht eine weitere Gefahr. Die Apps sind nicht zensierbar. Dadurch, dass der Inhalt live übertragen wird, haben die Betreiber keine Möglichkeit, unanstößige Streams mit einer Altersgrenze zu versehen oder gar ganz zu verbieten. Das ist bei Videoplattformen wie YouTube oder MyVideo anders. Jugendliche und Kinder haben so uneingeschränkten Zugriff auf jeden Inhalt! Bedenken liefert jedoch nicht nur die Frage über den Schutz für Jugendliche. Auch aus Datenschutzsicht lassen beide Apps einen großen Spielraum für Kritiker. Durch die oben beschriebene Auswahlmöglichkeit per Weltkarte bei Periscope, kann der Aufenthaltsort der Filmenden bis auf die genaue Straße nachverfolgt werden. Besonders bei minderjährigen Nutzern ein Aspekt, der den Datenschützern die Haare zu Berge steigen lässt. Die Ortungsfunktion kann zwar abgeschaltet werden, gerade Kinder und Jugendliche übersehen die Gefahr des Datendiebstahls jedoch häufig und deaktivieren diese daher nicht.

Meerkat und Periscope haben die nächste Stufe der Schnelligkeit und Aktualität in der Öffentlichkeit eingeläutet. Sie machen sich zu Nutze, dass die täglich vor dem Smartphone oder Tablet verbrachte Zeit steigt. Mittlerweile sogar auf durchschnittlich 2,8 Stunden pro Person. Neben den Möglichkeiten, die beide für Nutzer bringen, gibt es allerdings noch einige Unkontrollierbarkeiten. Gelingt es den Betreibern, bessere Kontrolle über unangebrachte Inhalte zu bekommen und den Datenschutz zu optimieren, besitzen beide großes Potenzial und werden in Zukunft weiter wachsen. In diesem Fall müssten der Komparativ und Superlativ zu „live“ doch noch erfunden werden. Mein Vorschlag hierfür:
Live, Meerkat, Periscope.

Gastbeitrag von Philipp von Holten, Werksstudent bei F&H Porter Novelli